Ein Modell zu entwickeln für die Führung von Organisationen ‚beyond Planbarkeit‘. Das ist das Forschungsthema, das ich mir als Ziel meiner Promotion gesetzt habe – wohl gemerkt: letztes Jahr. Seither ist viel passiert.
Ja, ein Jahr ist es nun her, dass ich, gemeinsam mit Kollegen, vorbereitende Interviews für meine Forschung geführt habe. Im Fokus stand dabei, was beschäftigt die Unternehmer*innen und die Führungskräfte WIRKLICH? Womit beschäftigen sie sich und was beschäftigt sie? Ist das, was in der Theorie so stark thematisiert wird, der organisationale Wandel, tatsächlich ein Thema, dass die Führungskräfte auch beschäftigt oder vielmehr akademische Diskussion? Das waren die anfänglichen Fragen. Durchgängig alle, wirklich alle Führungskräfte haben die Frage nach „Müssen Organisationen sich wandeln?“ mit einem Ja beantwortet, mancherorts waren Anmerkungen da, dass man dies möglicherweise nicht über alle Branchen und Bereiche hinweg sagen könne, aber: in der jeweils eigenen Branche definitiv ja, war die Antwort.
In vielen Interviews wurde thematisiert, dass das alte Führungsverständnis nicht mehr funktioniert. „Weil das Command-and-Control und die strikte Hierarchie funktionieren halt einfach nirgends mehr“ fasste eine Führungskraft es zusammen Darüber hinaus war auch immer wieder die Rede von den starken Veränderungen im Marktumfeld, der Volatilität, dem Nicht-Berechenbaren. Auch hier brachte es eine Führungskraft auf den Punkt mit der Aussage: „Das Extrapolieren geht nicht mehr. Damit tun sich die vielen Firmen schwer, die allesamt aufbauen auf Planbarkeit, Einschätzbarkeit, Vorhersagbarkeit.“ Und so habe ich genau dieses Thema in den Fokus meiner Promotionsforschung gestellt: Wie führt man Organisationen beyond Planbarkeit ist die Frage, um die sich meine Forschung dreht. Bzw. genauer gesagt hat meine Forschung das Ziel, ein Modell in Form einer Pattern Language zu entwickeln für das Führen von Organisationen beyond Planbarkeit. Mein Exposé wurde seitens der Promotionskommission wohlwollend aufgenommen und mein Promotionsvorhaben zugelassen.
Als ich davon dann – rund um den Jahreswechsel 2019/2020 – erzählt habe, habe ich viele Rückfragen und manchmal einfach auch Schweigen geerntet. Vor allem Praktiker*innen, die jetzt nicht in Branchen arbeiten in denen es gängig ist von „VUCA“ zu sprechen, haben sich wohl gefragt: Und wer braucht das? (Zumindest hatte ich den Eindruck). Ja, und drei Monate später kam Corona und „beyond Planbarkeit“ wurde in vielen Organisationen zur Realität – zum Teil wohl zur bitteren, zum Teil aber auch zur positiven. Denn: Wie ich nun in der zweiten Interview-Runde lernte, die ich letzte Woche abgeschlossen habe, bedeutet beyond Planbarkeit nicht zwangsläufig, dass sich etwas zum Negativen verändern muss. Ich durfte erfreulicherweise auch ganz viele Beispiele von positiv Nicht-Geplantem hören, das die Corona-Pandemie verursacht hat.
Beyond meiner Planbarkeit und überhaupt Vorstellbarkeit war eine (globale!) Situation, die uns alle ganz persönlich, aber natürlich auch unsere Organisationen und das Wirtschaftssystem so in einen Zustand jenseits der Planbarkeit katapultiert. Aus meiner Forschungsperspektive heraus kann ich damit das Phänomen, das uns (davon bin ich überzeugt), unabhängig von Corona in unser aller Arbeitsleben früher oder später stark treffen wird, nun viel besser erforschen als ich es mir gedacht habe. Menschlich gesehen ist es natürlich nachvollziehbar, wenn wir uns den Zustand „before“ zurückwünschen und zugleich wissen wir: So einfach ist es nicht. Vielmehr sollten wir unsere Wünsche, aber auch unser Engagement dahingehend ausrichten, die notwendigen Kompetenzen zu erlangen (persönlich und in den Organisationen) um mit Zuständen „beyond Planbarkeit“ besser umgehen zu können. Auch hier möchte ich abschließend eine von mir interviewte Führungskraft zitieren: „[Man] muss mit der Komplexität leben lernen, du kannst nicht mehr alles wissen, alles planen.“
Es klingt so einfach und ist doch so schwierig.